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Jahresausblick

Langfristrenditen und Schuldenentwicklung in den USA und Europa


Wenn die Märkte die Entwicklung der langfristigen Realrenditen von US-Treasuries und europäischen Staatsanleihen richtig einschätzen, werden die Schuldenquoten noch einige Zeit steigen. Wir müssen sicherstellen, dass sie nicht durch die Decke gehen. 

In den Industrieländern scheint sich das Vorzeichen der gefeierten Kennzahl „r-g“, also der Differenz zwischen den Renditen staatlicher Schuldpapiere (r) und der Wachstumsrate (g), dauerhaft umgekehrt zu haben. Zumindest ist sie nicht mehr deutlich negativ, sondern liegt nahe null.  


Die Volkswirte hatten zwar erwartet, dass die Kurzläuferrenditen die für die Bekämpfung notwendigen höheren Zinsen widerspiegeln werden, aber die sehr steile Zinsstrukturkurve in den letzten Monaten war dann doch eine Überraschung.  Mich hat das zugegebenermaßen ebenfalls überrascht. Aber auch die Optionsmarktteilnehmer haben die Wahrscheinlichkeit, dass die Langfristzinsen auf das aktuelle Niveau steigen, mit nahezu null beziffert. 

Nun ist es so – nur die Gründe sind nach wie vor unklar. Ist die Laufzeitprämie gestiegen, und wenn ja, warum? Sind das Angebot ungewöhnlich groß und die Nachfrage aufgrund der quantitativen Straffung gering? Ist der Anteil kurssensitiver Anleihenkäufer zurückgegangen? Gibt es eine höhere stetige Nachfrage der privaten Haushalte oder ein höheres erwartetes Potenzialwachstum aufgrund generativer künstlicher Intelligenz? Wir wissen es nicht. 


Deshalb ist es keineswegs abwegig davon auszugehen, dass einige der Auslöser vorübergehend sind, sodass die Langfristzinsen wieder zurückgehen werden. Die meisten Faktoren, die nach Ansicht der Volkswirte ursächlich für die vor der COVID-19-Pandemie lange Zeit rückläufigen Zinsen waren, scheinen sich nicht dramatisch verändert zu haben.  Aber jetzt sind die Langfristzinsen nun einmal hoch. Die Finanzminister müssen sich teuer finanzieren und können nicht das Staatsvermögen auf ihren Rückgang verwetten.

Wenn (r-g) gleich null ist, folgt das Verhältnis zwischen Staatsschulden und BIP, also die Schuldenquote, klaren Regeln: Bei einem Primärdefizit des Haushalts steigt die Schuldenquote. Bei einem Haushaltsüberschuss geht sie zurück. Zurzeit haben fast alle Industrieländer ein Primärdefizit. Bei vielen von ihnen liegt es zwischen 2% und 4%. Wenn also die aktuellen Schulden refinanziert sind und die durchschnittlichen Anleihenzinsen die höheren Langfristrenditen widerspiegeln, werden die Schuldenquoten steigen, sofern die Politik unverändert bleibt.

Anders gesagt: Wer die Schuldenquote stabilisieren will, muss einen ausgeglichenen Haushalt haben. Aus wirtschaftlichen und politischen Gründen ist es den Regierungen unmöglich, dies schnell zu erreichen. Ein drastische, sofortige Haushaltskonsolidierung würde vermutlich in einer Katastrophe münden, wirtschaftlich, weil man dann in eine Rezession fiele und politisch, weil dann immer mehr Stimmen an die populistischen Parteien gingen. 


Also wie schnell können die Regierungen von Industrieländern ihre Haushalte realistischerweise konsolidieren? Einige staatliche Programme, die eingeführt wurden, Unternehmen und Haushalten den Umgang mit den pandemiebedingten Verzerrungen und zuletzt mit den hohen Energiepreisen zu erleichtern, könnten beendet werden – das würde helfen.  Aber das würde nicht ausreichen, um die Defizite abzubauen. Dazu muss mehr getan werden.

Die in Europa von 2010 bis 2014 schnell eingeführten Sparmaßnahmen, die heute allgemein als überhastet gelten, weil sie die Erholung Europas gebremst haben, sollten ein mahnendes Beispiel sein. Und dann sind da noch die zusätzlichen Ausgaben für den Ausbau der Verteidigung und die höheren Staatsausgaben für die Umwelt. Dass die Anpassung stabil sein muss, ist klar. Ebenso klar ist aber auch, dass sie langsam erfolgen muss. Ein Land mit 3% Haushaltsdefizit braucht, wenn es keine schönen Überraschungen gibt, durchaus fast zehn Jahre, um das Defizit abzubauen und seine Verschuldung zu stabilisieren.

Es ist also nicht leicht, einen Weg zu finden, die Haushalte dauerhaft zu konsolidieren. Damit Investoren der Finanzpolitik vertrauen und keine höheren Spreads verlangen, muss ein glaubwürdiger Plan her, mit klar definierten Maßnahmen, um entweder Ausgaben zu senken oder Steuern zu erhöhen.  Aber selbst dann wird die Schuldenquote so lange weiter steigen, bis das Primärdefizit vollständig abgebaut ist.

Ein solcher Anstieg ist unvermeidbar, es sei denn die Langfristzinsen gingen wieder zurück. Dann würde Stabilisierung der Schulden auch mit einem kleinen Defizit möglich und der Konsolidierungsplan könnte verlangsamt oder beendet werden. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. An anderer Stelle habe ich geschrieben, dass es durchaus Belege dafür gibt, dass Industrieländer mit einer hohen Schuldenquote leben können. Sie darf nur nicht durch die Decke gehen.

Eine Schuldenexplosion muss um jeden Preis vermieden werden. Zu ihr könnte es kommen, wenn sich die Haushaltsdefizite einfach nicht abbauen ließen. Fassen wir zusammen: Ein guter Plan ist eine glaubwürdige, stetige Verringerung des Primärdefizits, wobei man akzeptieren müsste, dass die Schuldenquote gelegentlich steigt, und sich auf hohem Niveau stabilisiert.  Und hier fangen die Unterschiede zwischen der EU und den USA an.

Wie sich die Schulden in der Europäischen Union entwickeln, hängt maßgeblich davon ab, wie die Haushaltsregeln aussehen, wenn sie erst einmal umgesetzt sind. Was hier diskutiert wird, nämlich die Einschätzung der Schuldentragfähigkeit anhand einer gemeinsamen Methodik, aber unter Berücksichtigung der Tatsache, dass jedes Land anders ist, ist erheblich besser als das hochkomplexe Tinguely'sche Gebilde, zu dem die bisherigen Regeln geworden waren. Möglich ist allerdings, dass die neuen Regeln zu streng sind, um eine langsame und stetige Anpassung wie oben beschrieben zu gestatten, und das ist besorgniserregend. 


In jedem Fall habe ich kaum Zweifel daran, dass die Staatshaushalte in Europa in den nächsten Jahren konsolidiert werden. Interessant ist, was dann aus den europäischen Zinsen wird. Haushaltskonsolidierungen könnten zusammen mit der hartnäckig schwachen Nachfrage dazu führen, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen senken muss, sobald sie den Kampf gegen die Inflation gewonnen hat. Paradoxerweise könnten die heutigen hohen Zinsen morgen zu niedrigen Zinsen führen.  In diesem Fall würden das Schuldenproblem kleiner und die Konsolidierung einfacher.

In den USA ist das anders – besorgniserregender. Die Langfristzinsen sind dort höher als in Europa und das Primärdefizit liegt zwischen 4% und 5%. Zugleich funktioniert die Haushaltspolitik gerade überhaupt nicht. Die Schuldenquote droht durch die Decke zu gehen und eine sanfte Konsolidierung ist unwahrscheinlich. Vielleicht brauchen wir eine Art Krise – etwas wie eine gescheiterte Anleihenplatzierung oder Credit-Spreads auf Treasuries, damit die notwendige Wende eingeleitet werden kann. Auch noch beängstigendere Szenarien sind denkbar, beispielsweise die Wahl von Donald Trump, gefolgt von der Ernennung eines Fed-Vorsitzenden, der bereit ist, die Schulden einfach „wegzuinflationieren“. Dass dies gravierende Folgen hätte – nicht nur für die USA, sondern für die ganze Welt – muss nicht gesagt werden.  Wir hoffen das Beste, aber sind auch bereit, über pessimistischere Szenarien nachzudenken. 

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