Noch immer kein Beweis
Im Überblick
- Immer mehr spricht für Angebotsengpässe am US-Arbeitsmarkt, aber nur wenig für strukturelle Veränderungen.
- Und doch muss die EZB ihre Worte am Donnerstag sorgsam wählen. Einerseits stimmt der Neustart der Wirtschaft für Optimismus, andererseits mahnen die jüngsten Corona-Entwicklungen in Großbritannien zur Vorsicht.
- Die Vereinbarung der G7 zur internationalen Unternehmensbesteuerung stellt den schon jetzt schwächelnden Washingtoner Konsens weiter infrage.
Der US-Arbeitsmarktbericht für den Mai enthält weitere Hinweise auf Angebotsengpässe. Die Löhne gering qualifizierter Mitarbeiter im Gastgewerbe sind überdurchschnittlich gestiegen, obwohl die Anzahl solcher Stellen noch immer um 15% niedriger ist als vor Corona. Offensichtlich greifen die Arbeitgeber zu massiven Lohnerhöhungen, um Mitarbeiter zurückzugewinnen. Auch im Mai wissen wir nicht mehr über das geringe Arbeitskräfteangebot als im April. Sind Probleme bei der Kinderbetreuung der Grund, oder ist es das zu großzügige Arbeitslosengeld? Vielleicht werden wir die Antwort nie erfahren, da beide Faktoren mehr oder weniger gleichzeitig an Bedeutung verlieren. Durch das Ende der Kontaktbeschränkungen in den USA werden die Schulen wieder geöffnet, und fast die Hälfte der Bundesstaaten hat beschlossen, die Aufstockung des Arbeitslosengeldes früher als geplant auslaufen zu lassen – meist schon im Juli statt erst im November. Wie auch immer: Da beide Faktoren vorübergehend sind, können sie die Fed weder in die eine noch in die andere Richtung beeinflussen.
Die EZB hat sich vor der Ratssitzung an diesem Donnerstag ausführlich geäußert, sodass kaum mit revolutionären Entscheidungen zu rechnen ist. Und doch muss sie ihre Worte sorgsam wählen, wenn sie sich zum zukünftigen Volumen des Pandemie-Notfallkaufprogramms (PEPP) äußert. Wir rechnen nicht mit einem neuen Ton und glauben, dass sie zunächst den Neustart der europäischen Wirtschaft abwartet. Vermutlich wird sich der EZB-Rat auch sehr genau mit den jüngsten Corona-Entwicklungen in Großbritannien befassen. Noch hält sich der Wiederanstieg der Krankenhauseinweisungen in Grenzen, aber er führt uns schon jetzt eine einfache Wahrheit vor Augen: Bei aggressiveren Virusvarianten ist die Hürde für Herdenimmunität höher. Zwar zählt Großbritannien zu den Ländern mit den meisten Impfungen, doch verfügen noch immer mehr als vier Millionen Menschen über 50 noch nicht über einen vollständigen Schutz. Der Druck auf das Gesundheitssystem könnte daher wieder steigen.
Am Wochenende einigten sich die G7 auf zwei Elemente der OECD-Strategie zur internationalen Unternehmensbesteuerung. Bis zu konkreten Maßnahmen ist aber noch viel Arbeit nötig. Und doch ist die Entscheidung ein weiterer Mosaikstein unseres langen Nachrufs auf den Washingtoner Konsens.
Rechtliche Hinweise
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