Statements von Chris Iggo: Warum Anleiherenditen weiterhin niedrig bleiben
Renditen von US-Staatsanleihen sinken weiter
Die Renditen von US-Staatsanleihen sind im Laufe des Sommers weiter gesunken. Die Rendite zehnjähriger Benchmark-Anleihen fiel diese Woche unter 1,20 Prozent. Ende März hatte die Rendite ihren Jahreshöchststand von 1,774 Prozent erreicht. Die Renditekurve der US-Staatsanleihen hat sich abgeflacht, und auch die Renditen anderer Industrieländeranleihen sind gefallen. Die pessimistischen Aussichten für Anleihen, die viele zu Beginn des Jahres geteilt hatten, haben sich damit zumindest verzögert.
Indikatoren verweisen auf das Gegenteil
Es gibt eine ganze Reihe makroökonomischer Gründe, weshalb die Anleiherenditen höher sein sollten. Die Inflation ist in den meisten Industrieländern seit der Pandemie gestiegen. Das Wachstum liegt zurzeit über dem Trend, da sich die Volkswirtschaften weiterhin von den Lockdowns im Jahr 2020 erholen. Zudem haben Regierungen mehr Kredite aufgenommen, um die Pandemie-Notprogramme zur wirtschaftlichen Unterstützung von Haushalten und Unternehmen zu finanzieren. Die Zentralbanken nähern sich zwangsläufig dem Ende dessen, was wir allgemein als „Nullzinspolitik“ bezeichnen können. Bislang hat keiner dieser Faktoren zu einer Fortsetzung des Renditeanstiegs, den wir im ersten Quartal erlebt haben, beigetragen. Und trotzdem werden weiterhin höhere Renditen prognostiziert. Diese Aussicht ist gerechtfertigt, wenn man sich auf die mögliche Ankündigung der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) konzentriert, ihre Anleihekäufe gegen Ende des Jahres schrittweise zu reduzieren („Tapering“). Ebenso könnte der anhaltende Anstieg der Inflation, der sich in einigen Fällen durch Lohnzuwächse und anhaltende Angebotsengpässe zeigt, als Bestätigung hierfür dienen. Derzeit spiegelt der Markt diese wirtschaftlichen Denkansätze jedoch nicht wider. Für die Anleger bedeutete eine Short-Position bei den Zinssätzen, dass sie zwischen Ende März und Ende Juli mit einer Gesamtrendite von 3,4 Prozent schlechter abschnitten als ein breiter Index für Staatsanleihen.
Da wir unsere Investment-Entscheidungen auf makroökonomischen, Bewertungs-, Sentiment- und technischen Faktoren stützen, achten wir auch auf andere Einflüsse, die sich auf die Markt preise auswirken. Die makroökonomische Entwicklung ist eindeutig, auch wenn sich die Wachstumsaussichten von Zeit zu Zeit etwas eintrüben, insbesondere durch die Ausbreitung der Delta- Variante des Coronavirus. Dennoch lässt sich der Rückgang der Renditen um 60 Basispunkte nur schwer anhand der radikal veränderten Wachstumsaussichten erklären. Außerdem ist die Inflation in dieser gesamten Zeit gestiegen.
Die Erklärung für die niedrigeren Renditen beruht höchstwahrscheinlich auf dem Verständnis der technischen Faktoren, die der relativen Angebots- und Nachfragesituation bei US-Staatsanleihen zugrunde liegen. Die wichtigsten Punkte dabei sind:
1. Laufende quantitative Lockerung
Die Federal Reserve kauft jeden Monat Staatsanleihen im Wert von 80 Mrd. US-Dollar. Im Jahr 2021 hat sie ihre Bestände um 567 Mrd. US-Dollar erhöht (bis Ende Juli) und die Fed besitzt damit rund 22 Prozent der ausstehenden Staatsanleihen. Im Moment erhöht die Fed ihre Bestände weiter, bis sie entscheidet, wann sie mit dem „Tapering“ ihrer Anleihekäufe beginnt. Sowohl die Argumente, die auf die Zu- und Abflüsse abzielen, als auch auf den Bestand, können zur Erklärung der Auswirkungen der Anleihenkäufe auf die Renditen herangezogen werden.
2. US-Banken
Seit Beginn der Pandemie haben die Bankeinlagen in den USA aufgrund der fiskalischen Anreize und der einfachen Kreditvergaben enorm zugenommen. Ein Anstieg der Einlagen bedeutet eine Zunahme der Verbindlichkeiten bei den Banken. Auf der Aktiv-Seite hat das Kreditwachstum nicht Schritt gehalten, so dass die Banken ihre Bestände an anderen Vermögenswerten erhöhen mussten. Hierbei sind Staatsanleihen ein wichtiger und sicherer Vermögenswert, um diesen Bedarf zu decken. Große inländische US-Banken haben ihre Bestände an Staatsanleihen im laufenden Jahr bis Ende Juni um 312 Mrd. US-Dollar erhöht. Zusammen mit der US-Notenbank sind das 880 Mrd. US-Dollar an Staatsanleihekäufen.
3. Angebot und Nachfrage
Das US-Finanzministerium hat seine Kreditaufnahme aufgrund des gestiegenen Haushaltsdefizits im Zusammenhang mit einer expansiven Finanzpolitik erhöht. Dennoch ist die Nettoverschuldung im Jahr 2021 bisher nur um 758 Mrd. US-Dollar gestiegen. Die Kombination aus den Käufen der US-Notenbank und der US-Banken war höher als die Nettoemission des US-Finanzministeriums.
4. Andere Anleger
US-Pensionsfonds, Versicherungsgesellschaften und ausländische Anleger haben weiterhin Bedarf an langfristigen Anlagen. Ein Merkmal vieler Versicherungsunternehmen ist eine Laufzeitlücke zwischen ihren Vermögenswerten und Verbindlichkeiten, die die Nachfrage nach Vermögenswerten mit langer Laufzeit aufrechterhält. Höhere Renditen in den USA, selbst wenn sie in Euro und anderen Währungen abgesichert sind, lockten ausländische institutionelle Anleger in US-Staatsanleihen.
Diese technischen Faktoren sind komplex und eine Vorhersage, wann sie für den Markt an Bedeutung verlieren werden, ist unmöglich. Es ist wahrscheinlich ratsam, davon auszugehen, dass sie weiterhin eine dominierende Rolle spielen werden. Wenn die Renditen also steigen sollen, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
- Die Fed kündigt ein „Tapering“ ihrer Netto-Staatsanleihekäufe an. Das wird zwar nicht plötzlich, sondern vermutlich eher schrittweise erfolgen. Nichtsdestotrotz wird sich die Marktdynamik dadurch verändern.
- Das Einlagenwachstum im Bankensektor könnte sich verlangsamen und die Banken könnten eine erhöhte Nachfrage nach Krediten verzeichnen. In der Folge könnte sich die Nachfrage der Banken nach Staatsanleihen verringern.
- Die Inflation könnte sich als hartnäckiger erweisen. Die Breakeven-Inflationsraten auf dem Markt für inflationsgeschützte Anleihen („Treasury Inflation Protected Securities“) deuten auf eine mittelfristige Inflation von 2,4 Prozent hin. Das wäre ein komfortables Niveau für die Fed. Ein rascher Anstieg dieser Inflationserwartungen würde die Straffung des Fed-Kurses vorantreiben und höhere Nominalrenditen erfordern. Außerdem ist zu beachten, dass die realen Renditen extrem negativ sind (-1,1 Prozent) und wahrscheinlich nur dann steigen werden, wenn die Fed die Zinsen anhebt.
Weltweit befinden wir uns weiterhin in einer Phase niedriger langfristiger Renditen, was größtenteils auf die Maßnahmen der Zentralbanken zurückzuführen ist. Die von den Zentralbanken gehaltenen Staatsanleihen machen einen beträchtlichen Anteil der ausstehenden Schulden aus (bis zu 45 Prozent im Falle Japans), und dies hat einen Knappheitswert geschaffen. Die Renditen spiegeln dabei unserer Meinung nach nicht die makroökonomische Situation wider. Täten sie das, wären sie viel höher. Doch die expansive Geldpolitik und die damit einhergehende massive Zunahme der Zentralbankreserven haben die Anleihemärkte so verzerrt, dass scheinbar nur sehr deutliche Änderungen des geldpolitischen Kurses (z.B. Straffungskurs der Fed von 2016 bis 2019) zu einem Anstieg der Anleiherenditen führen können.
-Ende-
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