Geldmarkt gut, Aktien besser
Viele Aktienmärkte haben neue Allzeithochs erreicht. Warum auch nicht? Die Zinsen dürften nicht weiter steigen, und mit einer Rezession ist nicht zu rechnen, schon gar nicht in den USA. Den Credit Spreads zufolge sind die Unternehmensfinanzen durchweg gut, und die Gewinnmargen profitieren von den niedrigeren Rohstoffpreisen. Vor allem aber findet eine neue technologische Revolution statt. Warum sonst sollte die Nachfrage nach leistungsfähigen Halbleitern, ohne die Künstliche Intelligenz nicht funktioniert, so stark steigen? Eine weiche Landung, stabile bis niedrigere Zinsen, Wirtschaftswachstum und das Ausbleiben systemischer Kreditprobleme haben Aktien kräftig steigen lassen. Entscheidenden Anteil daran hatte aber die Ausnahmestellung der USA, die auch den Partnern wie Europa und Japan nützt. Aktien haussieren, und die Risikobereitschaft ist hoch.
Zinssenkungen erst später, aber keine Erhöhungen
Am 12. Januar erwartete man für Ende 2024 noch eine Federal Funds Rate von 3,65%, am 22. Februar rechnete man dann mit 4,45%. Das ist ein gewaltiger Unterschied, erwartet man doch jetzt drei Zinssenkungen weniger als vor sechs Wochen. Wegen des erstaunlich stabilen US-Arbeitsmarktes im Januar und der überraschend hohen Inflation gingen manche Beobachter sogar von weiteren Zinserhöhungen aus. Worte kosten nichts, und Wetten auf steigende Zinsen sind billig. Laut Bloomberg sind nur 0,03% Optionsprämie fällig, wenn man im Juni eine Federal Funds Rate über den derzeitigen 5,5% erwartet. Eine Option auf fallende Zinsen kostet hingegen 0,48%. Offensichtlich rechnet der Markt nicht mit steigenden Zinsen. Aber wenn Sie für wenig Geld wetten möchten – bitte schön.
Langweilig
Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Fed und andere Notenbanken ihre Kommunikation seit einigen Jahren sehr ernst nehmen. Wie sagte doch Mervyn King, früherer Gouverneur der Bank of England? „Die Geldpolitik soll langweilig sein – niemand braucht Schocks.“ Wenn der Offenmarktausschuss den Kampf gegen die Inflation verloren gäbe, sollte man das aus offiziellen Äußerungen mittlerweile herauslesen können. Aber dafür gibt es keine Anzeichen. Die Fed geht davon aus, dass sie die Zinsen dieses Jahr senkt. Selbst im Protokoll der letzten Sitzung ging es mehr um den Zeitpunkt als darum, ob die Federal Funds Rate überhaupt niedriger sein soll. Bei einer plötzlichen Zinserhöhung ohne Vorwarnung würden die Märkte jedenfalls kräftig einbrechen.
Stattdessen hat die Fed die Märkte schrittweise darauf vorbereitet, dass dieses Jahr mit weniger Zinssenkungen zu rechnen ist als zunächst angenommen und dass ein niedrigerer Leitzins noch etwas auf sich warten lässt. Wer die US-Konjunktur beobachtet, wird dafür vollstes Verständnis haben. Doch solange die Rhetorik der Fed so bleibt, wie sie ist, spricht letztlich nichts gegen Unternehmensanleihen und Aktien. Am Geldmarkt mag man in den USA über 5% und in Europa knapp 4% verdienen, aber die Gewinne der meisten Aktien waren zuletzt einfach deutlich besser.
Stabile Unternehmensanleihen
Im gleichen Protokoll äußerte sich die Fed auch zu den Kreditbedingungen in den USA. Ich halte das für wichtig, weil in der derzeitigen Marktphase viele Anleger liquide börsennotierte Unternehmensanleihen schätzen. Um die Fed zu zitieren: „Die Kreditqualität von Industrieunternehmen, die Anleihen begeben oder sich mit Leveraged Loans finanzieren, ist alles in allem noch immer solide.“ Zugleich verwies die Fed auf die wachsenden Zahlungsrückstände bei Kreditkarten- und Automobilkrediten sowie auf die immer strengeren Kreditbedingungen für Gewerbeimmobilien und deren fallende Preise. Offensichtlich machen die höheren Zinsen großen Qualitätsunternehmen mit gut gefüllten Kassen bislang kaum Schwierigkeiten. Sie hatten aber gewisse Auswirkungen auf einkommensschwächere Verbraucher und zinssensitivere Unternehmen aus dem Immobiliensektor. Aber auch das hält sich bislang in Grenzen.
Belastungen für Regionalbanken
Ein schwacher Gewerbeimmobilienmarkt ist nichts Neues. Steigende Leerstandsquoten bei Büros und der zunehmende Onlinehandel bedeuten weniger Mieteinnahmen und niedrigere Bewertungen von Büro- und Einzelhandelsobjekten. Höhere Finanzierungskosten schaden den Netto-Cashflows von Projektentwicklern. Bei manchen Kreditnehmern, die vielleicht zusätzliches Kapital benötigen, könnten die Beleihungsobergrenzen bald erreicht sein. All das ist nicht ohne Folgen für die Regionalbanken, deren Aktiva zu fast 30% aus Gewerbeimmobilienkrediten bestehen. Der Russell-2000-Bankenindex ist letztes Jahr um 18 Prozentpunkte hinter dem Gesamtindex zurückgeblieben, und sein Rückstand gegenüber dem S&P 500 beträgt sogar 38 Prozentpunkte. Für den Anleihenmarkt gilt das aber nicht: Der Immobiliensektor des US Corporate Bond Index hält sich noch immer sehr gut. Seine Yield to Worst beträgt zurzeit 5,6%, gegenüber 5,45% am Gesamtmarkt, und die Spreads sind nur etwa 20 Basispunkte weiter. Weil die Duration der Anleihen von Immobilienunternehmen leicht unter dem Marktdurchschnitt liegt, haben sie den Gesamtmarkt in den letzten zwölf Monaten sogar leicht hinter sich gelassen.
Man sollte das genau beobachten, wenn die Fed die Leitzinsen nicht so früh senkt wie noch vor einigen Wochen vermutet. Im 4. Quartal 2023 sind die Gewinne börsennotierter Regionalbanken im Schnitt um 30% gefallen, die Gewinne der Banken aus dem S&P 500 aber nur um 11%. Die Liquidität wird knapper, weil die Fed das Bank Term Funding Program beendet und die Reserven der Kreditinstitute abnehmen. Wenn die Zinsen weiter hoch bleiben, könnten die Regionalbanken noch stärker unter Druck geraten. Einstweilen sind solche Probleme aber kein Grund, generell einen Bogen um Unternehmensanleihen oder Aktien zu machen. Da die Anleihenrenditen seit Jahresbeginn gestiegen sind, bieten Credits noch immer ordentliche laufende Erträge. Vielleicht legen Anleihen sogar kräftig zu, wenn die Aktienhausse endet oder sich die Konjunkturdaten verschlechtern.
All das gilt auch für High Yield. High-Yield-Anleihen sind strukturell interessant, weil sie ähnliche Gesamterträge bieten wie Aktien, aber längst nicht so volatil sind. Der annualisierte Gesamtertrag des amerikanischen High-Yield-Marktes betrug in den letzten zehn Jahren 6,4%, der von Small Caps gemessen am Russell 2000 Index 7,6% p.a. Dabei lag die annualisierte Volatilität der Monatserträge von High Yield bei nur 3,8% gegenüber 20% bei Small Caps.
Viele interessante Credits
Es geht aber nicht nur um die USA. Europäische Investmentgrade-Titel liegen seit Jahresbeginn leicht vor US-Anleihen, und bereinigt um Veränderungen der Staatsanleihenrenditen haben sterlingdenominierte Titel beide hinter sich gelassen. Auch Leveraged Loans, Emerging-Market-Anleihen, asiatische High-Yield-Anleihen und Asset-Backed Securities liegen seit Jahresbeginn im Plus. Solange die Geldmarktzinsen so hoch sind wie heute und man mit einer sogenannten weichen Landung der Konjunktur rechnet, dürften sich diese Titel weiterhin gut entwickeln. Wegen der attraktiven Credit Spreads stellen sie weiterhin Erträge über dem Geldmarktzins in Aussicht.
The sky is the limit
Eigentlich ging es diese Woche aber gar nicht um Credits, sondern vor allem um NVIDIA. Der amerikanische Halbleiterhersteller hat am 21. Februar seine mit Spannung erwarteten Viertquartalszahlen vorgelegt. Wer glaubte, dass wir uns in einer Technologieaktienblase befinden, hatte auf Bestätigung gehofft. Aber vergebens: Der Umsatz betrug über 22 Milliarden US-Dollar, nach gut 18 Milliarden im 3. Quartal. Hauptgrund waren die hohen Ausgaben amerikanischer Technologieunternehmen und anderer Firmen für KI und Rechenkraft. Aufs Jahr hochgerechnet beträgt der Umsatz allein dieses einen Unternehmens fast 5% der gesamten Hardwareausgaben amerikanischer Unternehmen im Jahr 2023 (laut VGR). Nach den derzeitigen Schätzungen wird der Umsatz 2024 über 100 Milliarden US-Dollar betragen, nach nur 27 Milliarden im Kalenderjahr 2022.
Produktivitätsschub
Laut Bloomberg beträgt das KGV von NVIDIA 29 (auf Basis der erwarteten 12-Monats-Gewinne). Ist das fair? Das hängt davon ab, ob man weiterhin mit Wachstum rechnet. Das KGV liegt etwas unter dem von Microsoft und etwas über dem von Apple. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht wichtiger ist die implizite Annahme, dass der Technologiesektor die US-Wirtschaft und den Aktienmarkt bestimmt und dies zu höherer Produktivität und mehr Wachstum führt. Dieses Frühjahr wird das AXA IM Investment Institute eine Reihe von Studien über die These von der Sonderstellung der USA vorlegen. Schon jetzt möchte ich aber sagen, dass die USA in einem diversifizierten Credit-Portfolio oder einem Aktienfonds, der auf Qualität und Wachstum setzt, nicht fehlen dürfen. Natürlich werden wir auch auf die Risiken eingehen. Hier denke ich vor allem an die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen unterschiedlicher Wahlausgänge, aber auch an mögliche Auswirkungen zu später Zinssenkungen auf die Finanzen. Und das ist längst nicht alles: Interessant ist auch, welche Chancen die USA Impact-Investoren bieten, denen Artenvielfalt und Klimaschutz wichtig sind. Was können börsennotierte Unternehmen mit den neuen Technologien bewirken? Der rasche technologische Wandel und Wachstumsmöglichkeiten durch neue Finanzierungsmodelle machen US-Aktien für Impact-Investoren noch interessanter.
Im Euroraum und in Großbritannien ist das Wachstum schon erkennbar zurückgegangen. Die USA wachsen aber noch immer, und zwar schneller als erwartet. Dieses Jahr wird das Verhältnis zwischen realem Wachstum (nach unseren Prognosen 2,0%) und der Inflation so günstig sein wie seit Jahren nicht mehr. Natürlich gibt es politische und finanzielle Risiken, und natürlich müssen sich Anleger nach den 0% bis 1% der letzten zehn Jahre an Zinsen von 4% bis 5% erst noch gewöhnen. Dennoch scheint das Anlageumfeld in den USA gut. Die Bewertungen sind nicht wirklich niedrig, aber die hohen Cashflows der Unternehmen dürften sie stützen. Wenn neue Technologien für sehr viel mehr Produktivität sorgen, werden die Realerträge steigen – und damit auch die Realzinsen. Das hatte ich kürzlich schon einmal geschrieben. Eine höhere Produktivität bedeutet aber auch höhere Einkommen. Das Angebot steigt, und am Ende profitieren alle davon.
Die Welt modernisieren
Auf meiner ersten Stelle nach dem Studium habe ich meine Konjunkturanalysen mit der Hand geschrieben, sie zum Schreibbüro geschickt, auf die abgetippte Fassung gewartet, sie überarbeitet, Korrektur lesen lassen und dann einem meiner Vorgesetzten vorgelegt, der sie erneut überarbeitete. Es dauerte Tage. Textverarbeitungsprogramme und PCs haben all das geändert, und Schreibbüros waren einmal. Jeden Monat bekamen wir vom Internationalen Währungsfonds ein Magnetband mit aktuellen Konjunkturdaten. Sie mussten nachts auf einen Großrechner geladen werden, bevor wir Analysten sie am nächsten Morgen an einem Terminal nutzen konnten. Jetzt kann ich neue Zahlen in eine Excel-Tabelle laden und in nur wenigen Minuten eine Präsentation mit aktualisierten Grafiken erstellen. Und schon bald wird es nicht einmal mehr jemanden wie mich brauchen – die KI wird es richten. Sie wird den Großteil aller Analysen erstellen, Daten managen, Kundenkontakt halten und die administrativen Aufgaben von Portfoliomanagern übernehmen. Weil sich die Welt so schnell ändert, wird es immer schwieriger, tragfähige Konjunkturmodelle mit Prognosekraft zu erstellen. Und das ist auch gut so, denn sonst wäre Investieren sehr viel langweiliger, und vielleicht würde es sich auch weniger lohnen. Stellen Sie sich nicht gegen den Fortschritt, schon gar nicht in der Investmentwelt!
Performancedaten/Quellen: Refinitiv Datastream, Bloomberg, Stand 22. Februar 2024. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Hinweis auf künftige Erträge.
Rechtliche Hinweise