Wie „kurvig“ ist die Kurve?
Im Überblick
- Allmählich kühlt sich der US-Arbeitsmarkt ab, aber die Fed dürfte wachsam bleiben.
- Isabel Schnabels Einschätzung der Phillipskurve klingt noch immer nach einer straffen Geldpolitik.
Die Arbeitsmarktdaten waren vermutlich genauso, wie es sich Jerome Powell gewünscht hat: Die Schätzungen der in den letzten Monaten neu geschaffenen Stellen wurden nach unten revidiert, sodass sie jetzt klar unter dem langfristigen Trend liegen – und auch die unerwartet schwachen Lohnsteigerungen sind eine willkommene Entwicklung. Jetzt müsste die Inflation im August schon eine sehr böse Überraschung sein, damit sich der Offenmarktausschuss am 20. September für eine erneute Zinserhöhung entscheidet. Das bestätigt uns in unserer Einschätzung, dass die Fed Funds Rate im Juli ihren Höhepunkt erreicht hat.
Diese Woche befassen wir uns ausführlicher mit der „Waller-Hypothese“, also mit der Möglichkeit, dass die US-Inflation wieder auf 2% zurückgeht, obwohl nur die Beschäftigungsmöglichkeiten, also die Chance, die Stelle zu wechseln, zurückgehen, nicht aber die Zahl der bestehenden Arbeitsplätze. Nach einer Untersuchung von Benigno und Eggertsson wird die Phillipskurve besonders steil, wenn die Zahl der offenen Stellen höher ist als die der Arbeitssuchenden. Das wäre nicht nur eine überzeugende Erklärung für die jüngste Inflationswelle, sondern auch eine gute Nachricht. Tatsächlich wäre dann im Umkehrschluss eine steilere Kurve ein Hinweis darauf, dass die Inflation schnell zurückgeht, sobald der Arbeitsmarkt schwächer wird, einfach nur, weil weniger Stellen geschaffen werden – ohne dass es zu einem Stellenabbau kommen muss. Diese Theorie lässt allerdings Zweitrundeneffekte wie die Erinnerung an den Inflationsschock außer Acht, die dazu führen könnte, dass Lohnerhöhungen nachgeholt werden, woraufhin auch die Inflation wieder anziehen würde. Jedenfalls mögen die Arbeitsmarktdaten zwar nachgelassen haben, aber angesichts der realen Zahl der neu geschaffenen Stellen und der Kündigungen sind sie nach wie vor besser als vor der Pandemie. Aus unserer Sicht wird die Fed zu vorsichtig bleiben, sodass wir nach wie vor fürchten, dass es noch eine Weile dauern wird, bis sie die Zinsen wieder senkt.
Möglicherweise haben wir es im Euroraum mit demselben Phänomen zu tun. Uns ist aber aufgefallen, dass Isabel Schnabel die Phillipskurve in ihrer Stellungnahme letzte Woche aus einer anderen Perspektive betrachtet hat. Sie verwies auf die strategische Preisgestaltung der Unternehmen – eine Alternative zum Modell von Benigno und Eggertsson, die für eine weitere Straffung der Geldpolitik spricht. Da die Kerninflation nur marginal zurückgeht, bleiben Verfechter weiterer Zinserhöhungen innerhalb der EZB auf der Hut, auch wenn einige von ihnen – auch Schnabel – die Möglichkeit eines „Meinungswechsels“ im September ins Auge fassen. Festgelegt hat sich darauf aber noch niemand. Außerdem wäre ein solcher Meinungswechsel nicht unbedingt der Beginn einer längeren Phase mit stabilen Zinsen, sondern vielleicht nur eine kurze Pause.
Rechtliche Hinweise