Artensterben: Ein globales systemisches Risiko verstehen und darauf reagieren
- Das Artensterben und die Maßnahmen, es aufzuhalten, bringen Risiken für Unternehmen und die Wirtschaft mit sich – aber auch Chancen.
- Um in diesem Bereich etwas zu bewirken und erfolgreich zu investieren, braucht man verlässliche, wiederholbare Daten. Aus unserer Sicht sind sie jetzt verfügbar.
- Sie helfen uns bei unseren Engagementaktivitäten und dabei zu verstehen, welche Unternehmen von diesem Aspekt des Wandels besonders betroffen sind.
Einer der wichtigsten Beweggründe verantwortungsbewusster Investoren ist, dass sie die aktuellen und künftigen systemischen Risiken besser verstehen wollen. Deshalb sind in den letzten Jahren die Themen Klima und Artenvielfalt (Biodiversität) in den Vordergrund gerückt. Verständlicherweise stand der Klimaschutz an erster Stelle, aber wir sind überzeugt, dass die Schädigung der Ökosysteme, die das Leben an Land und in den Meeren ermöglichen, eine ebenso große Gefahr für eine langfristig nachhaltige Wirtschaft ist. Wichtig ist, dass wir aus unserer Sicht jetzt genug wissen und entsprechende Instrumente zur Hand haben, damit verantwortungsvolle Investoren das Thema auch in ihren Portfolios angehen können.
Ein guter erster Schritt ist zu verstehen, wie der Mensch das Gleichgewicht stört. Der wichtigste Auslöser ist die veränderte Nutzung von Boden und Meer, aber auch der Klimawandel, der Verzehr natürlicher Ressourcen, Umweltverschmutzung und die Ausbreitung invasiver Arten spielen eine wichtige Rolle.1
Diese Faktoren sind stärker ins Bewusstsein gerückt. Regulierungsbehörden und die Industrie suchen jetzt nach Lösungen. Das internationale Convention on Biological Diversity (CBD) steht dabei im Mittelpunkt. Sie hilft, die Aktivitäten wichtiger Unternehmens- und Brancheninitiativen zu strukturieren, auch die des Finanzsektors. Das CBD soll in diesem Jahr weitere Unterstützung erhalten, durch die Verabschiedung eines aktualisierten Global Biodiversity Framework mit klaren und umsetzbaren Zielen für Regierungen und Unternehmen auf einer wichtigen Konferenz in Kanada im Dezember.2
Verweise zur Artenvielfalt finden auch Eingang in neue rechtliche Standards wie die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) der EU und das französische Energie- und Klimagesetz. Großbritannien dürfte folgen.3 Möglicherweise motiviert die konzertierte Reaktion der Politik die Investoren ebenso zum Handeln wie die direkten Risiken des Artensterbens. Beim Klimawandel war es jedenfalls so.
Die direkten wirtschaftlichen Folgen sind allein schon sehr beunruhigend. Nach Einschätzung des World Economic Forum hängen etwa 50% des Welt-BIP von einer intakten Biodiversität ab.4 Eine Studie aus dem Jahr 2021 kommt zu dem Schluss, dass durch die bereits stattfindende Degradation der Ökosysteme jedes Jahr Naturleistungen im Gegenwert von über 5 Billionen US-Dollar verloren gehen.5 Und eine Untersuchung der Weltbank zu den Folgen eines Ausfalls von drei Leistungen unserer Natur (natürliche Bestäubung, Tropenholzversorgung und Meeresfischerei) ergab, dass das Welt-BIP bis 2030 jedes Jahr um 2,3% sinken würde.6
Entwicklung eines Investmentansatzes
Diese Zahlen auf globaler Ebene sind erschreckend. Wir sind aber auch der Meinung, dass das Artensterben mehrere Risiken für Unternehmen und die Wirtschaft mit sich bringt. Die unten stehende Grafik zeigt einige Probleme, die auf Unternehmen zukommen können, aber auch einige mögliche Chancen, vor allem für Unternehmen, die in den besonders betroffenen Branchen in puncto Biodiversität führend sind: Landwirtschaft und Nahrungsmittel, Bergbau und das Verarbeitende Gewerbe.
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Dabei muss man wissen, wie Input-Faktoren und Ergebnisse miteinander verknüpft sind. Nur dann können wir bei der Portfoliokonstruktion und bei Anlagen in Unternehmen die Risiken und Chancen erkennen, das Mehrwertpotenzial optimieren und die langfristige Veränderung hin zu einer wirklich nachhaltigen Wirtschaft unterstützen.
Einige der größten Herausforderungen für die globale Artenvielfalt finden sich beispielsweise bei der Beschaffung nachhaltiger Grundstoffe, dem Schutz von Boden und Tierschutz, den Wasserökosystemen und im Recycling sowie der Kreislaufwirtschaft. Sie alle sind maßgeblich für das langfristige strukturelle Wachstum, und die entsprechenden Märkte dürften stark wachsen. Uns interessieren Unternehmen, die das Artensterben aufhalten können, indem sie ihre Umweltfolgen mindern und natürliche Lebensräume erhalten. Dabei konzentrieren wir uns auf Technologien und Leistungen, die am meisten bewirken können.7
Beim Thema nachhaltige Grundstoffe können wir helfen, Artensterben aufzuhalten, indem wir in Unternehmen investieren, die bei ihren Verpackungen auf Plastik verzichten oder Alternativen zum traditionellen Lithiumabbau bieten, einem Metall, das beispielsweise für die Produktion von Smartphones und Laptops gebraucht wird. Beim traditionellen Abbau wird viel CO2 freigesetzt. Außerdem ist der Prozess sehr wasserintensiv und zerstört Land. „Grünes Lithium“ wird dagegen aus geothermaler Sole gewonnen, womit weniger schädliche Stoffe in Boden, Wasser und Luft gelangen. Das Ergebnis ist ein viel saubereres Verfahren mit geringeren Umweltauswirkungen.8
Bei unserem Bestreben, den weltweiten Nahrungsmittelbedarf zu decken, können wir uns der Realität nicht verschließen, dass die moderne Nutzviehhaltung und Landwirtschaft dem Boden erheblich schadet und viele Tiere, Insekten und Pflanzen kostet. Sie ist ein weiteres wesentliches Risiko für die Biodiversität. Hier suchen wir Unternehmen aus, die mit Künstlicher Intelligenz (KI), smarten Sensoren und neuen Technologien „Präzisionslandwirtschaft“ ermöglichen und damit den Einsatz von Herbiziden und Pestiziden deutlich verringern. Dadurch steigt der Ertrag je Hektar sodass weniger Land genutzt werden muss. Die Produktivität steigt, während die Fläche unverändert bleibt, sodass kein weiteres Land zerstört wird.
Um zum Schutz von Land und Artenvielfalt beizutragen, interessieren uns außerdem Unternehmen, die pflanzenbasierte Alternativen anbieten – von Fleischersatz wie im Labor gezüchteten Produkten bis zu pflanzlichen Schönheitsprodukten oder biologisch abbaubaren Textilien aus Zellstoff und Holz.
Zum Schutz des Wasser-Ökosystems können wir in Unternehmen investieren, die im Wassermanagement und in der Abwasserentsorgung tätig sind. Auch im Bereich Recycling und Kreislaufwirtschaft sehen wir eine Vielzahl von Möglichkeiten, darunter auch Unternehmen, die sich mit Elektroschrott befassen.
Von den über 50 Millionen Tonnen Elektroschrott, die jedes Jahr weltweit anfallen, werden nur 20% recycelt.9
Um dieses Problem anzugehen, interessieren wir uns für Unternehmen mit vertikal integrierten Prozessen zur Rückgewinnung von Batteriekomponenten und anderen Lösungen. Der internationale Recycling-Markt für Lithium-Ionen-Batterien dürfte bis 2030 ein Volumen von 22,8 Milliarden US-Dollar haben. Das entspricht einer Wachstumsrate (CAGR) von 19,6%.10
An allen Märkten, die wir beobachten, bieten sich im Zuge der Verminderung und Vermeidung des Artensterbens langfristige Wachstumschancen. So könnte das Volumen des Weltmarktes für nachhaltige Verpackungen bis 2030 auf über 630 Milliarden US-Dollar steigen. Das entspräche einer Wachstumsrate (CAGR) von über 10%.11 Ähnliches gilt auch für die Präzisionslandwirtschaft. 2021 betrug das Volumen 5,5 Milliarden US-Dollar. Schätzungen zufolge wird es bis 2030 auf 19,2 Milliarden US-Dollar steigen (CAGR von fast 15%).12
Unter die Lupe genommen
Dies ist zwar möglicherweise ein sehr spannender Bereich des Anlageuniversums, aber wenn Investoren, die die Artenvielfalt schützen wollen, messbare Wirkung und zugleich attraktive Finanzergebnisse erzielen wollen, brauchen sie vor allem eines: verlässliche wiederholbare Daten. Aus unserer Sicht gibt es sie bereits – mit einigen Abstrichen.
Folgende Fragen sind noch offen: Wie können Investoren Zugang zu den Rohdaten bekommen? Wie entstehen die Programme, die aus komplexen Datensätzen nutzbare Informationen machen? Wann werden allgemeine Ansätze und Kennzahlen entwickelt, die vergleichende Analysen ermöglichen, damit man Erfolge messen kann? Um einige dieser Herausforderungen zu lösen, arbeitet AXA IM mit Iceberg Data Lab (IDL) zusammen. Weitere Initiativen mit Anbietern wie CDC Biodiversité und ENCORE, aber auch mit einigen der großen ESG-Datenanbieter, entstehen gerade.
Aus unserer Sicht liefert Iceberg Data Lab klaren Mehrwert. Wir erhalten genau die Informationen, die uns bei der Portfoliokonstruktion interessieren und die Vergleiche zwischen Emittenten ermöglichen. Das wichtigste von IDL zur Verfügung gestellte Maß ist der Corporate Biodiversity Footprint (CBF), der mit der Kennzahl MSA („mittlere Artenhäufigkeit“) arbeitet. Sie basiert auf einer Lebenszyklusanalyse, bei der die Produktströme entlang der Wertschöpfungskette von der Beschaffung bis zum Endverbraucher verfolgt werden. Dabei werden vier spezifische Belastungen untersucht, die zum Artensterben beitragen können: Landnutzung, Klimawandel, Wasserverschmutzung und Luftverschmutzung. Möglicherweise werden einige Faktoren wie invasive Arten nicht berücksichtigt, aber wir sind überzeugt, dass die MSA einen guten Anhaltspunkt dafür gibt, wie viele Quadratkilometer unberührten Waldes aufgrund der Geschäftsaktivitäten eines Unternehmens verloren gingen.
Diese Einschätzung fließt in unseren allgemeinen Investmentprozess ein, sodass wir erkennen können, welche Unternehmen und Sektoren am meisten zum Artensterben beitragen und deshalb möglicherweise Risiken unterliegen. Sehr wichtig ist auch, dass wir uns dank CBF informiert und aktiv bei den Geschäftsleitungen engagieren können. Die unten stehende Grafik enthält eine Checkliste zum Unternehmensengagement zum Thema Biodiversität.
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Wir wissen, dass viele Unternehmen gerade erst begonnen haben, das Thema Artensterben in ihre Strategie zu integrieren. Zurzeit konzentrieren sie sich noch auf die Erhaltung der Biodiversität und die Verminderung von Schäden. Mit der Wiederherstellung der Artenvielfalt werden sie sich erst später auseinandersetzen. Deshalb ist unser Engagement derzeit darauf ausgerichtet, den Geschäftsleitungen zu zeigen, wie sie feststellen können, welche Auswirkungen ihre Geschäftstätigkeit auf die Artenvielfalt hat, und ihnen bei der Auswahl der relevanten Messgrößen für die Wirksamkeit ihrer Gegenmaßnahmen zu helfen, damit sie künftige aufsichtsrechtliche Anforderungen erfüllen. Aus unserer Sicht können wir bereits jetzt im Zuge unseres Engagements erkennen, welche Unternehmen am meisten betroffen sein werden, wenn das Thema Biodiversität an Bedeutung gewinnt, und welche am meisten davon profitieren werden, weil sie die damit verbundenen Chancen nutzen können.
Auch institutionelle Investoren werden möglicherweise bestimmte Anforderungen erfüllen müssen. Das Thema Biodiversität dürfte heute an einem ähnlichen Punkt stehen wie das Klima vor etwa zehn Jahren. Der nächste und wichtige Schritt sind messbare Ziele. Zugleich ist die Ausweitung der Reichweite der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) ein Hinweis darauf, welche Wirkung deren Schwesterinitiative Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD) haben wird. Struktur und Schwerpunkt der TNFD befinden sich noch in der Entwicklung, und die Biodiversitätsdaten sind noch immer nicht perfekt, aber aus unserer Sicht sollten sich große Investoren wie Pensionsfonds und Versicherungen schon jetzt um eine detaillierte Berichterstattung über die möglichen Auswirkungen ihrer Investmentportfolios auf die Artenvielfalt bemühen.
Rechtliche Hinweise
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