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Das ist doch nicht normal


Manches an diesem Konjunkturzyklus kommt einem bekannt vor: Personalmangel, Inflation und eine straffere Geldpolitik. Aber anderes ist ungewöhnlich. In der Corona­zeit ist das BIP weltweit gefallen und hat sich danach vielleicht schneller erholt als je zuvor. Seitdem ist die Inflation so hoch wie seit einer Generation nicht mehr. Es wäre vermessen zu glauben, dass sich solche Extreme schnell wieder normalisieren könnten, zumal die Weltlage äußerst unsicher ist. Vielleicht sollten wir mit weiteren Überraschungen rechnen. Inflation, Zinsen und Wachstum bleiben kurzfristig schwer vorhersehbar. Es gibt aber auch eine gute Nachricht: In Zukunft dürfte der wissenschaftliche und technische Fortschritt das Wachstum besser, sauberer und nachhaltiger machen. Und mit der nächsten Stufe der industriellen Revolution kann man auch Geld verdienen.

Nicht normal

Immer deutlicher zeigt sich, wie ungewöhnlich der derzeitige Konjunkturzyklus ist. Er ist schlecht zu prognostizieren und immer wieder für Überraschungen gut. Vor allem drei Dinge haben wir noch nicht wirklich durchdrungen: die Wende der Geldpolitik, die Nachwirkungen der Pandemie und die Entwicklung hin zu einer Welt, in der die Naturwissenschaften wichtiger sind als die Finanzen. Alles hat große Auswirkungen auf den laufenden Konjunkturzyklus, das künftige Wachstum, die Inflation und die Finanzmärkte.

Inflation und Zinsen

Die Inflation ist das Ergebnis von Ungleichgewichten, ausgelöst durch eine über viele Jahre äußerst großzügige Geldpolitik sowie Angebots- und Nachfragestörungen durch Corona und den Krieg in der Ukraine. Letztes Jahr mussten die Notenbanken dann die Wende einleiten. Volkswirte, Anleger und Notenbanker scheinen nicht zu wissen, wann dieses Umdenken abgeschlossen ist und welche Folgen es haben wird. Die Notenbanken reagieren jetzt stärker auf Konjunkturdaten und geben das auch unumwunden zu. Sie haben den Inflationsanstieg 2022 falsch eingeschätzt und fürchten, dass die Teuerung nicht ausreichend fällt. Jede Zahl, die gegen eine schnelle Rückkehr zur guten alten Vor-Corona-Zeit mit weltweit 2% Inflation spricht, gibt den Falken Auftrieb. Die Anleger rechnen dann sofort mit einem noch höheren Leitzinsmaximum.

Immer höher

Seit den Zinsschritten Anfang Februar sind die Markterwartungen für das Leitzinsmaximum in den USA, dem Euroraum und Großbritannien um 25 bis 50 Basispunkte gestiegen. Wenn die Inflation nicht nachlässt, rechne ich mit einer ähnlichen Reaktion auf die Notenbanksitzungen Mitte März. Jedes Mal, wenn die Leitzinsen auch nur etwas angehoben werden, geht der Markt von ein bis zwei weiteren Zins­erhöhungen aus. Eine echte Wende scheint daher nur möglich, wenn die Notenbanken sie klar und deutlich ankündigen. Wir brauchen eine niedrigere Teuerung und schwächere Beschäftigungszahlen, und die Notenbanken müssen weitere Zinserhöhungen kategorisch ausschließen. Aber so weit scheint es noch nicht zu sein, auch wenn es viele Anleger inständig hoffen.

Schwache Anleihen im Februar

Nach dem sehr guten Januar hat der Renditeanstieg Anleiheninvestoren im Februar Verluste beschert. Noch sind die Zinsstrukturkurven invers, und am Terminmarkt rechnet man mittelfristig mit einem Tagesgeldsatz von 3,5% bis 4% in den USA und Großbritannien sowie etwa 3% im Euroraum. Das wäre weniger als heute, aber deutlich mehr als vor Corona. Quantitative Tightening und strengere Kreditbedingungen lassen das Geldmengenwachstum einbrechen. Vieles ist denkbar, von einer zu geringen Straffung, weil man die Inflation unterschätzt, bis hin zu einer zu starken.

Niedriger, aber mit Auf und Ab

Wegen der niedrigeren Energiepreise, der nachlassenden Lieferprobleme und der schwächeren Konjunktur in manchen Sektoren dürfte die Inflation weiter fallen. Aber Personal bleibt knapp, sodass die Löhne stärker zulegen könnten. Für viele Unternehmen sind sie der wichtigste Kostenfaktor. Höhere Löhne können den Gewinnmargen und damit den Gewinnen schaden. Dann steht weniger Kapital zur Finanzierung des künftigen Wachstums zur Verfügung. Aktieninvestoren könnten dann weniger verdienen.

Letztes Jahr ist der Verbraucherpreisindex in allen zwölf Monaten stärker gestiegen als in den 30 Jahren zuvor. So kann es nicht weitergehen. Auch die gerade veröffentlichten Januarzahlen liegen deutlich über dem Durchschnitt für diesen Monat, zumindest in den USA. Wenn die Monatswerte nicht fallen, wird auch der vor Corona übliche Jahreswert von 2% vorerst nicht erreicht. Vor allem aber wird eine Straffung der Geldpolitik für die Notenbanken dann zur Gewohnheit, sodass die Zinserwartungen ebenfalls weiter steigen. Irgendwann wird das Unternehmensanleihen und Aktien schaden. Je stärker die Zinsen steigen, desto schwerer fällt es, an eine „weiche“ oder gar an „keine“ Landung zu glauben.

Nachwirkungen

Die wirtschaftlichen Spätfolgen von Corona sind noch immer nicht vorbei. Am deutlichsten zeigt sich das am Arbeitsmarkt. Das Personal bleibt knapp, und die Partizipationsquoten sind noch nicht wieder so hoch wie früher. Viele Branchen haben 2020 stark unter den Lockdowns gelitten. Erst seit Kurzem beschäftigen Gesundheitswesen und Gastgewerbe wieder so viele Mitarbeiter wie im Februar 2020, schreibt das US Bureau of Labor Statistics. Weil sich unsere Arbeitsgewohnheiten in der Coronazeit extrem verändert haben, bleibt offen, ob die aktuellen Zahlen die Arbeitsmarktentwicklung korrekt abbilden. Es gibt durchaus Hinweise auf Arbeitskräftemangel und eine Lohn-Preis-Spirale. In Großbritannien lässt sich das zum Teil mit dem Brexit erklären, aber die Pandemie betrifft alle Länder. So oder so müssen Unternehmen und Regierungen reagieren. Es muss mehr in Automatisierung investiert werden, und die Politik muss durch steuerliche Anreize, Weiterbildung, Änderungen im Sozialsystem und eine Reform der Einwanderungspolitik für mehr Arbeitskräfte sorgen. immigration.

Weltpolitik

Corona, die Energiekrise und die daraus folgenden Änderungen der Geldpolitik trüben den Konjunkturausblick weiter, und die weltpolitische Lage macht es nicht besser. Alles hängt mit allem zusammen. Corona hat die Lieferketten durch­einander­gebracht, sodass sich die Unternehmen jetzt mehr mit Logistik- und Sicherheitsfragen befassen müssen. Auch die Beziehungen zwischen den Supermächten haben sich verschlechtert. Das ist unübersehbar und hat schon jetzt konkrete Folgen: In den USA wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Lieferung von Technologie nach China einschränkt. Das Geschäftsmodell amerikanischer Technologieunternehmen, die China als verlängerte Werkbank für ihre in den USA entwickelten Produkte nutzen, gerät in Gefahr. Der russische Einmarsch in die Ukraine jährt sich auch gerade zum ersten Mal. Energie ist zwar wieder so billig wie vor dem Krieg, aber die politischen Risiken sind heute größer. Der Westen muss daher mehr für Verteidigung ausgeben.

Wissenschaft

Manche Veränderungen sind aber erfreulich. Mehrere Technologien könnten die Güterproduktion weltweit gravierend wandeln, durch niedrigere Kosten, höhere Produktivität oder beides. Weil dringend etwas gegen den Klimawandel getan werden muss und in kürzester Zeit COVID-19-Impfstoffe entwickelt wurden, ist die Wissenschaft gegenüber dem Finanzsektor jetzt in einer stärkeren Position. In Zukunft dürften Investitionen daher produktiver sein. Schon einmal habe ich an dieser Stelle von einer Welt geträumt, in der saubere Energie, Sonnen- und Windkraft Verbrauchern und Unternehmen enorm hilft – die Demokratisierung der Energieversorgung. Zugleich befreit sie uns aus der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, die in Konflikten schon oft zur Waffe wurden. Schnell werden in dieser Welt neue Technologien entwickelt, in die Unternehmen investieren und die vom Staat gefördert werden. Das hat zwar auch eine Schattenseite – politische Vorgaben, die ein Mindestmaß an Bauteilen aus dem eigenen Land fordern, und Subventionen, die wie Staatshilfen aussehen. Aber ich glaube nicht, dass das zu einem Dauerzustand wird. Interessant fand ich diese Woche die Preisentwicklung beim Tesla-Grundmodell. Wegen fallender Herstellungskosten für Batterien und staatlicher Hilfen kostet es in den USA jetzt weniger als ein Mittelklasseauto mit Verbrennungsmotor – und zwar viel weniger.

Aktien, Wissenschaft, Wachstum

Neue Medikamente durch Fortschritte in der Biotechnologie, die weitere Automatisierung von Lieferketten, Transport und Produktion sowie die Anwendung Künstlicher Intelligenz in vielen Dienstleistungsbranchen sind außerordentlich spannende Entwicklungen. Schon jetzt wird hier viel investiert, und es wird immer mehr. Der wirtschaftliche Nutzen kann exponentiell wachsen. Im 21. Jahrhundert musste die Weltwirtschaft bereits mit mehreren Schocks fertig werden, aber die Wissenschaft kann für neue Stabilität sorgen. Investitionen in Technologie machen die Ressourcennutzung effizienter. Sie verbessern die Lebensqualität durch eine bessere Gesundheitsversorgung und machen Streit um knappe Energieressourcen unwahrscheinlicher. Wahrscheinlich wird man für die Risiken solcher Investitionen dann auch besser entschädigt als für die Risiken komplexer Finanzinstrumente mit kaum nachvollziehbaren Cashflows ihrer Basiswerte.

Nach-Corona-Boom in China?

All diese Überlegungen sind recht allgemein. Manchmal hilft es aber, den Computer auszuschalten, Marktberichte zu ignorieren und über die reale Welt nachzudenken. Kurzfristig ist die Unsicherheit groß. Wir wissen aber, dass die Zinsen gestiegen sind und man mit recht risikoarmen Finanzinstrumenten deshalb wieder mehr verdienen kann. Die Renditen von Anleihen sind recht hoch; der größte Teil ihrer Erträge entfällt auf die Coupons, vor allem bei Kurzläufern. Für Investoren ist das gut, vor allem bei einer so unsicheren Konjunktur wie heute. Langfristig sind auch Unternehmensanleihen attraktiv, für die ich letzte Woche die Werbetrommel gerührt habe – denn die Zinsen werden bald ihr Maximum erreichen. Wenn die langfristige Zinsprognose stimmt, winken hohe Prämien für das Kreditrisiko.

In der Welt nach Corona scheinen chinesische Aktien interessant. Überall sonst sind die Unternehmensgewinne massiv gestiegen, als sich die Konjunktur 2021 und 2022 erholte. Die Gewinne chinesischer Aktiengesellschaften blieben in den letzten mehr als fünf Jahren aber unverändert oder fielen. Der Neustart der Wirtschaft und die stärker wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik könnten einen Gewinnboom auslösen. Investoren könnten dann viel verdienen.

Langfristiges Wachstum

Auf Dauer zählt vor allem Wachstum. Strukturelle Veränderungen bieten Chancen. Klimaneutrale Technologien werden billiger und stärker subventioniert, sodass auf dem Weg zur Netto-Null hohe Erträge möglich scheinen. Künstliche Intelligenz ist gut für Software- und Technologieunternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Sie dürfte die Produktivität derer steigern, die sie nutzen können. Von Kryptowährungen mag man halten, was man will, aber die Digitalisierung des Finanzdienstleistungssektors ist noch längst nicht abgeschlossen. Hinzu kommen Smart Contracts und – den politischen Willen vorausgesetzt – Effizienzsteigerungen bei öffentlichen Dienstleistungen, von der Bearbeitung von Steuererklärungen bis zum Gesundheits- und Bildungswesen. In den letzten 20 Jahren sind die Gewinne vieler bekannter Technologieunternehmen exponentiell gestiegen. Das dürfte sich wiederholen. Die Wissenschaft wird mehr dazu beitragen können als das Finanzwesen.

500 zu 1

Diese Quote sah ich bei einem Online-Wettanbieter nach dem Unentschieden von Manchester United im Hinspiel gegen Barcelona. Man sollte wetten, dass die Reds alle vier Wettbewerbe gewinnen werden, in denen sie noch vertreten sind. Als einziges englisches Team hat United bislang das Tripple geschafft – Meister, Pokalsieger sowie Champions-League-Gewinner in einer Saison. Diesmal fehlt die Champions League, aber Siege in allen drei englischen Wettbewerben und der Europa League wären etwas ganz Besonderes. 500 zu 1 bedeutet wohl, dass nicht wirklich damit gerechnet wird. Am Sonntag im Wembley-Stadion werden wir erfahren, ob das realistisch ist.

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