Bernanke-Doktrin
- Die „Bernanke-Doktrin“ zum Umgang der Zentralbanken mit Energiepreisschocks sollte um die Berücksichtigung der Staatsfinanzen erweitert werden.
- Dann würde ihre Anwendung für ein sehr vorsichtiges Vorgehen der EZB sprechen. Die Zentralbank will flexibel bleiben, aber die Richtung ist klar: Ziel ist eine Normalisierung der Geldpolitik.
Ben Bernanke hat das Dilemma der Zentralbanken beim Umgang mit einem externen Preisschock sehr gut formuliert. „Die Geldpolitik kann nicht zugleich die inflationären und die wachstumsdämpfenden Folgen steigender Ölpreise beseitigen.“ Sie muss sich entscheiden. Außerdem schlug er vor, dass die Zentralbanken ihre Politik auch an einem qualitativen Kriterium ausrichten: Wie weit war die Wirtschaft vor dem Schock von der Vollauslastung entfernt? Wenn nämlich vor dem Anstieg der Ölpreise eine Überhitzung drohte, sind die Risiken der Zweitrundeneffekte höher, und die Wirtschaft kann die Folgen einer Straffung der Geldpolitik besser verkraften. Was Bernanke aber nicht bedachte, sind die Staatsfinanzen. Wenn ein großer Teil des durch den externen Schock ausgelösten BIP-Rückgangs vermutlich durch Staatsausgaben ausgeglichen wird, kann sich die Zentralbank ganz auf die Inflationsbekämpfung konzentrieren. Im Euroraum wird die Lage dadurch verkompliziert, dass die Höhe der staatlichen Unterstützung zum Teil von der Geldpolitik abhängt. Angesichts des strukturellen finanziellen Fragmentierungsrisikos in der EU könnte ein Ende des Quantitative Easing bedeuten, dass die Regierungen ihre Ausgaben nicht mehr erhöhen können.
Wenn man alle Aspekte der „erweiterten Bernanke-Doktrin“ berücksichtigt, sollte die EZB sehr vorsichtig bleiben. Vor dem Beginn des Ukrainekrieges gab es keine eklatanten Hinweise auf eine Überhitzung. Die Länder wollen helfen, aber auf dem Europagipfel in Versailles ist man zu keiner klaren Einigung über die Vergemeinschaftung der Schulden gelangt. Doch obwohl die EZB flexibel sein will und sich nach der Februar-Sitzung des EZB-Rats unerwartet milder zeigte, kündigte Christine Lagarde letzte Woche ein schnelleres Auslaufen der Wertpapierkäufe an, als man nach den Ankündigungen im Dezember 2021 hätte erwarten können. Wie wir bereits letzte Woche geschrieben haben, ist die Richtung klar: Die EZB will die Geldpolitik wirklich normalisieren.
Wir rechnen nach wie vor mit einer ersten Zinserhöhung im Dezember 2022, weil wir davon ausgehen, dass der Höhepunkt der Auswirkungen des Ukrainekrieges im 2./3. Quartal überschritten sein wird. Diese Annahme beruht auf der Einschätzung, dass die beiden Parteien einen Krieg mit hoher Intensität nicht länger als ein paar Monate durchhalten können. Das ist zweifellos ein unsicheres Argument, und wir analysieren weitere mögliche Konstellationen und Entwicklungen. Außerdem darf man auch die Auswirkungen der Pandemie nicht vergessen. Der Lockdown in Shenzhen sollte uns daran erinnern, dass neben den Folgen des Krieges in der Ukraine für die Konjunkturaussichten Europas auch neue, von China ausgehende Lieferengpässe nicht ausgeschlossen sind.
Rechtliche Hinweise
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