Kaum Neues im September
Die Sommerferien sind vorbei, und einmal mehr spekuliert man über die künftige Marktentwicklung. Tatsächlich hat sich aber kaum etwas verändert. Weder für fallende Kurse noch für den Kampf gegen die verbliebenen Falken in den Notenbanken gibt es neue Argumente. Das Wachstum ist schwach, aber nicht beunruhigend. Die Inflation fällt, ist aber noch immer hoch. Wenn sich wirklich etwas ändert, dann vielleicht durch ein überraschendes Ereignis, einen Schock. Eine Eskalation des amerikanisch-chinesischen Technologiekrieges, weil China diese Woche die Nutzung bestimmter iPhone-Modelle verboten hat? Ein schwächerer Welthandel und eine nachlassende Weltkonjunktur wegen der Deflation in China? Ein strenger Winter auf der Nordhalbkugel durch El Niño, sodass Erdgas bald wieder so viel kostet wie 2022? Wenn aber nichts davon eintritt und weiterhin mehrheitlich mit einer weichen Landung gerechnet wird, gilt das Interesse vor allem der Zinsentwicklung und den monatlichen Konjunkturdaten. Ein klarer Markttrend mit berechenbaren Erträgen sieht anders aus.
Harte Zeiten
Der letzte Monat war nicht einfach; Aktien wie Anleihen lagen im Minus. An der Marktstimmung und der Positionierung der Anleger hat sich aber nicht wirklich etwas geändert. Am Terminmarkt erwartet man nicht, dass die (Fed ihren Leitzins von jetzt 5,25% bis 5,5% weiter anhebt. Gleiches gilt für die Europäische Zentralbank (EZB). Auch hier rechnet man nicht mehr mit einer Erhöhung des Einlagensatzes über die derzeitigen 3,75% hinaus. In Großbritannien wird zwar ein weiterer Zinsschritt erwartet, aber auch hier geht man von einem niedrigeren Leitzinsmaximum aus als zu Sommerbeginn. Die Wachstumserwartungen änderten sich ebenfalls kaum. Meist wird angenommen, dass die USA einer Rezession entgehen, und auch die Konjunkturdaten sprechen weiter für eine weiche Landung. Im August wies der Arbeitsmarktbericht zwar wieder einen Beschäftigungszuwachs aus, aber einen geringeren. Industrie- und Dienstleistungs-PMI sind leicht gestiegen. Manche Marktbeobachter meinen sogar, dass man sich nicht auf eine Rezession, sondern auf eine wieder stärkere Konjunktur vorbereiten sollte.
Sind die Zinsen hoch genug – oder zu hoch?
Die Märkte rechnen nicht mehr mit weiteren Zinserhöhungen, doch vielleicht liegen sie falsch. Der Fed würde ein erneuter Wachstumsanstieg nicht gefallen, weil sich die Inflation dann noch schwerer auf ihren Zielwert senken ließe. Wenn der Inflationsrückgang weltweit stockt, könnten die Fed und andere Notenbanken die Zinsen weiter erhöhen. Nur wenige Volkswirte schließen eine Zinserhöhung im November kategorisch aus. Uneins ist man sich auch über die Höhe des neutralen Gleichgewichtszinses, des berühmten, nicht wirklich messbaren r*. Nach einem aktuellen Blog von Volkswirten der New Yorker Fed könnte r* höher sein, als die Notenbank glaubt. Schließlich haben weite Teile der Wirtschaft nur wenig auf die bisherigen Zinserhöhungen um 500 Basispunkte reagiert.
In komplexen Systemen lässt sich nur schwer abschätzen, was Veränderungen wichtiger Parameter – wie der Zinsen – auf Dauer bewirken und was sie für die einzelnen Wirtschaftsbereiche bedeuten. Zinsänderungen beeinflussen Inflation, Wachstum und Beschäftigung mal langsamer und mal schneller, aber keinesfalls sofort. Unternehmen, die in der Coronazeit durch Gewinnthesaurierung oder Anleihenemissionen zu extrem niedrigen Zinsen Liquidität aufgebaut haben, können sich jetzt über hohe Kurzfristzinsen freuen. Oft heißt es, dass die Haushalte ihre hohen Ersparnisse aus der Coronazeit mittlerweile ausgegeben hätten, aber ihre Guthaben sind noch immer hoch. Insgesamt sind die Einlagen bei amerikanischen Geschäftsbanken 2023 zwar leicht gefallen, sind aber noch immer um 30% höher als direkt vor der Pandemie. Außerdem liegt das Geldmarktfondsvermögen nur knapp unter seinem Allzeithoch.
Wenig überzeugt
Anders als sonst hat die Konjunktur trotz der strafferen Geldpolitik noch nicht erkennbar nachgegeben. Man spekuliert, dass das noch kommt – sehen Sie sich nur den Einzelhandel an. Vielleicht muss die Fed so lange mit Zinssenkungen warten, bis die Konjunktur erkennbar nachlässt – oder die Zinsen sogar weiter erhöhen. Die Investoren zögern, sich hier klar zu positionieren. 2024 scheint vieles möglich.
Alles beim Alten
Konsens bliebt aber die weiche Landung – und das vielleicht nur, weil es weder für eine Rezession noch für eine Konjunkturbelebung klare Anzeichen gibt. Bei einem nur etwas schwächeren Wachstum mit einem weiteren leichten Inflationsrückgang – ohne Rezession oder einen drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit – werden irgendwann Rufe nach niedrigeren Realzinsen und einer lockereren Geldpolitik laut. Für 2024 werden bis jetzt leichte Zinssenkungen erwartet, was dazu passen würde. Daher spricht jetzt nur wenig für einen Ausstieg aus dem Geldmarkt. Mit Credits wird man weiterhin ordentliche laufende Erträge erzielen können, auch wenn ihre Renditen, zumindest im Investmentgrade-Bereich, kaum über dem Geldmarktzins liegen. Bei Aktien rechne ich mit Mehrerträgen hochwertiger Wachstumstitel. Bei einer weichen Landung werden Teile der Wirtschaft weiter wachsen, andere hingegen nicht. Entscheidend werden strukturelle Faktoren sein: Infrastrukturausgaben, Dekarbonisierung und neue Technologien. Aktien können weiterhin Potenzial haben.
Eines ist aber wichtig: Bei einer weichen Landung wächst die Wirtschaft so lange moderat, bis die Inflation zu ihrem Zielwert zurückgekehrt ist. Dabei werden die Zinsen im Schnitt höher sein als früher. Vorbei sind die Zeiten der fast kostenlosen Kredite, und Anleiheninvestoren werden von Glück reden können, wenn sie zumindest durch Kursgewinne wegen fallender Zinsen noch etwas verdienen.
Rezession heißt niedrigere Zinsen und günstigere Risikotitel
In den Alternativszenarien sind die Auswirkungen auf die Asset-Allokation klarer. Die Zinserhöhungen würden dann doch noch eine Rezession auslösen. Die Inflation würde stärker zurückgehen, und die Zinsen würden stärker gesenkt. In der Rezession sind Aktien meist schwach, und auch Credits und High Yield dürften dann Minderertrag verzeichnen. Staatsanleihen würden weiter an der Spitze stehen. Weil aber das Wachstum in vielen G7-Ländern unter dem Langfristtrend liegt, ist die Konjunktur hier anfällig für externe Schocks. Wenn China den Welthandel schwächt, es zu einer neuen Energiekrise kommt oder sich die Investoren von der Weltlage irritieren lassen, könnte die Konjunktur einbrechen.
Das schlechteste Szenario wäre aber eine Stagflation, in der die Inflation hoch bleibt oder wieder steigt und die Zinsen weiter angehoben werden. Alle Assetklassen, mit Ausnahme von Geldmarktanlagen und vielleicht Sachwerten (Grundstücke, Gold und Rohstoffe), lägen dann im Minus. Eine solche Entwicklung dürfte aber sehr unwahrscheinlich sein, weil die Weltwirtschaft heute flexibler und vernetzter ist als in früheren Stagflationen.
Kurz- und langfristige Pläne
Investoren müssen sich auf die Konjunktur und ihre Auswirkungen auf die Märkte vorbereiten. In unsicheren Zeiten meiden sie Risiken, sodass jetzt einfach nicht der Moment für mehr Aktien und Credits zu sein scheint. Dieses Jahr hat es sich oft gelohnt, nach Verlusten in Aktien einzusteigen. Aber gilt das immer noch? Keineswegs sollte man Risiken jetzt gänzlich meiden, aber manche Aktien und Credits könnten nachgeben, wenn sich die Wirtschaftslage verschlechtert.
Man muss aber auch nach langfristigen Wachstumschancen Ausschau halten. Das ist nicht leicht. Ich glaube, dass die diversen Nachhaltigkeitsstrategien (Netto-Null, ESG-Integration, Aktienstrategien unter Berücksichtigung der UN-Nachhaltigkeitsziele, Naturkapital- und Biodiversitätsstrategien) weiterhin Zuflüsse verzeichnen und sich noch immer zur Diversifikation eignen. Beachtung verdienen auch die Emerging Markets. China dürfte seine besten Zeiten hinter sich haben, doch winken Chancen in Ländern mit großem Bevölkerungswachstum, etwa in Indien, Indonesien und Nigeria. Investitionen in diesen Ländern sind sicher immer eine Herausforderung. Da aber ihr Anteil am Weltwirtschaftswachstum steigt, können gute Zeiten für Unternehmen anbrechen, die in diese Länder liefern. Wenn es die Welt mit erneuerbaren Energien und der Netto-Null wirklich ernst meint, dürften diese und andere Länder des globalen Südens davon am stärksten profitieren.
Performancedaten/Quellen: Refinitiv Datastream, Bloomberg. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Hinweis auf künftige Erträge.
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