Zinsmaximum und große Erleichterung
Märkte sind widerstandsfähig. Sicher, das Ende des Quantitative Easing und die Zinsnormalisierung im letzten Jahr ließen die Kurse fallen. Die Inflation sorgte für Unsicherheit, und wegen der höheren Zinsen fürchtete man eine Rezession. Doch alles in allem stehen die Unternehmen gut da, und die meisten Menschen sind in Lohn und Brot. Natürlich ist nicht alles perfekt: Der Technologiesektor macht Probleme, die US-Regierung muss vielleicht bald ihre Arbeit einstellen, und die Erholung Chinas könnte die Energiepreise erneut kräftig steigen lassen. Aber eigentlich ist das Wirtschaftswachstum ordentlich und die Inflation fällt. Die Investoren schätzen die höheren Anleihenrenditen, und an den Aktienmärkten scheint man weniger den diesjährigen Gewinnrückgang als die künftigen Wachstumsaussichten zu sehen. Die Märkte bleiben zwar unruhig und volatil, doch die Bären haben sich erst einmal wieder in ihre Höhlen zurückgezogen.
Arbeit erledigt
Die Märkte legen zu, weil die Straffung der Geldpolitik fast vorbei ist. Die wichtigste Aufgabe der Notenbanken ist es, für Preisstabilität zu sorgen. Bei einer steigenden oder zu hohen Inflation werden die Zinsen erhöht, bei einer fallenden oder zu niedrigen gesenkt. So gesehen, kamen die letzten Zinserhöhungen nicht überraschend. Aber jetzt könnten die Falken zahmer werden. Zur Sorglosigkeit besteht wegen der noch immer viel zu hohen Teuerung kein Grund, zumal der mittelfristige Ausblick unsicher ist. Weltweit geht die Inflation aber rasch zurück, und vielleicht fällt sie noch dieses Jahr auf ihre Zielwerte. Selbst wenn die Leitzinsen im März noch einmal erhöht werden, ändert sich an den Markterwartungen zum Zinsmaximum seit Monaten nichts. Auch jetzt gibt es keinen Grund für eine Prognoseänderung. In Zukunft werden die Notenbanken eher begründen müssen, warum sie an ihren hohen Leitzinsen festhalten – und die Investoren werden über Zinssenkungen spekulieren. In den USA und Großbritannien hat dieses Spiel bereits begonnen; Zinssenkungen noch in diesem Jahr sind in den Kursen schon berücksichtigt.
Die Märkte wissen es zu schätzen
2022 führten die steigende Inflation und die enorme Straffung der Geldpolitik zu hohen Verlusten. In der ersten Jahreshälfte war der Abstand zwischen dem amerikanischen Einjahreszins und der Federal Funds Rate stark gestiegen, da man mit immer mehr Zinserhöhungen rechnete. Es folgten einige Monate mit einer großen Zinsdifferenz und hohen Aktienmarktverlusten. Doch seit Oktober ist das Ende der Zinserhöhungen in Sicht. Jetzt ist die Einjahresrendite kaum noch höher als die Federal Funds Rate, und die Märkte haben sich erholt. Die Aussicht auf ein Ende der Zinserhöhungen ist an sich gut für Aktien – und für Anleihen, aber Sie wissen ja ohnehin, dass ich ein Anleihenbulle bin.
Auf niedrigere Renditen kommt es an
Jede positive Marktreaktion ruft auch Skeptiker auf den Plan. Die Bären sagen, dass die hohen Leitzinsen dem Wirtschaftswachstum schaden. Aktien und Credits würden daher nachgeben. Die Gewinne am Staatsanleihenmarkt lassen sich leichter erklären: Die langfristigen Renditen sind der Durchschnitt der erwarteten Kurzfristrenditen der nächsten Jahre. Wenig spricht dafür, dass die Kurzfristzinsen zehn Jahre lang so hoch bleiben wie heute. Die Zinsstrukturkurven sind zurzeit invers, und man rechnet mittelfristig mit fallenden Zinsen. Die Langfristrenditen müssen nicht unbedingt steigen, wenn der Leitzins um weitere 25 oder 50 Basispunkte angehoben wird – jedenfalls dann nicht, wenn allgemein mit einem weiteren Inflationsrückgang und nachlassendem Wachstum gerechnet wird.
Notenbanker neigen nicht dazu, frühzeitig den Sieg auszurufen, da sie aus gutem Grund risikoscheu sind. Aber sie haben ihre Arbeit im Großen und Ganzen erledigt. Irgendwann müssen sie sich dann wieder Gedanken darüber machen, was bei einer zu niedrigen Inflation zu tun ist und wie hoch der Leitzins sein soll, wenn das Inflationsziel von etwa 2% wieder erreicht wird. So oder so werden die Leitzinsen dann aber niedriger sein als heute. Der Rückgang der Inflation und der Zinsrisikoprämien seit Anfang des 4. Quartals hat Anleiheninvestoren weltweit hohe Erträge beschert. Seit den Oktobertiefs hat man mit internationalen Aggregate-Anleihen etwa 12% verdient. In Zukunft dürften die Erträge nachlassen, zumal die Mittel- und Langfristrenditen schon stark gestiegen sind. Wie gesagt: Kurzläufer stellen wieder gute Erträge in Aussicht, sodass es sich wieder lohnt, auf Coupons zu setzen. Insgesamt entwickeln sich die Anleihenmärkte gut. Es kommt zu Mittelzuflüssen, und nach der Untergewichtung von Anleihen in den letzten Jahren haben Anleger jetzt wieder Bedarf an laufenden Erträgen.
Nicht einfach Anleihen statt Aktien
Die Anleger scheinen ihre Anleihenquoten daher zu erhöhen, aber die Aktienquoten müssen deshalb nicht fallen. Sicher, seit Oktober war die Aktienperformance hervorragend, aber es ist unklar, wie viele Anleger wirklich an der Kursrallye partizipiert haben. Manche Wall-Street-Analysten rufen schon wieder eine neue Baisse aus. Sie stützen ihre pessimistische Sicht auf das Risiko noch niedrigerer Unternehmensgewinne. Wenn die Notenbanken genug zur Inflationsbekämpfung getan haben, so ihr Argument, haben sie das Wirtschaftswachstum wahrscheinlich so stark gedämpft, dass Umsätze und Gewinnmargen einbrechen. Diese Analysten glauben also nicht an eine weiche Landung und halten auch eine fallende Inflation ohne steigende Arbeitslosigkeit für möglich. Den Verfechtern der reinen Lehre von der Phillips-Kurve will es hingegen nicht in den Kopf, dass der Inflationsanstieg 2022 etwas mit den vielen Lockdowns und Neustarts der Weltwirtschaft in den Jahren 2020 und 2021 zu tun hat.
Niedrigeres Gewinnwachstum
Wirtschaftswachstum und Unternehmensgewinne sind zweifellos unsicher. Gerade erst hat der Internationale Währungsfonds seine Weltwirtschaftsprognose angehoben, aber viele andere Beobachter rechnen noch immer mit einer Rezession. Die Konsens-Gewinnschätzungen der Aktienanalysten fallen seit Monaten, sodass für den S&P 500 auf Jahressicht nur noch um 4% höhere Gewinne je Aktie (EPS) erwartet werden. Allerdings liegen die Schätzungen sehr weit auseinander. Ihre Standardabweichung ist so hoch wie zuletzt im April 2020, kurz nach Beginn der Lockdowns. Für Europa, also für den EuroStoxx, werden nur 2,1% Gewinnwachstum erwartet. Interessant ist, dass die Prognosen hier längst nicht so stark streuen wie in den USA. Die Analysten scheinen sich weitgehend einig, dass die Unternehmensgewinne in Europa kaum steigen, aber der Ausblick für die großen US-Sektoren wie Technologie und Energie könnte für die eine oder andere Überraschung sorgen. Wie auch immer: Die Gewinnerwartungen sind stark gefallen, und für die meisten Aktienmärkte werden heute niedrigere langfristige Kursgewinne erwartet als vor einem Jahr. Allerdings entsprechen die Erwartungen in Europa und den USA jetzt wieder ihrem Langfristdurchschnitt, sodass die Bewertungen wohl wieder realistischer sind.
Steigende Kurse trotz schwacher Quartalszahlen
Etwa die Hälfte der S&P-500-Unternehmen hat bis jetzt ihre Quartalsergebnisse vorgelegt. Alles in allem gibt es bei Umsätzen und Gewinnen bislang kaum Überraschungen; die Zahlen passen zu den niedrigeren Erwartungen. Die Gewinne bewegen sich seitwärts oder fallen leicht, und zur Freude der Bären sind die Ausblicke oft sehr verhalten. Dennoch bleibt unklar, ob die Zahlen und Äußerungen der Unternehmen auf einen massiven Gewinneinbruch hindeuten. In Europa scheint die Gewinnsaison bislang besser; Umsätze wie Gewinne scheinen zu wachsen. Wegen der niedrigeren Bewertungen, der etwas geringeren Konjunkturrisiken und der Aussicht, dass die EZB für den März ein Ende der Zinserhöhungen ankündigt, könnten europäische Aktien weiter zulegen.
In früheren Rezessionen sind die Unternehmensgewinne stärker gefallen. Bei systemischen Schocks wie der internationalen Finanzkrise oder der Pandemie sind die Gewinne beim S&P 500 gegenüber dem Vorjahr um bis zu 65% eingebrochen. 2017/2018, als die Fed den Leitzins nur halb so stark anhob wie bis jetzt, blieb eine Rezession aus. Aber trotz der damals weichen Landung sind die S&P-500-Gewinne 2019 nicht gestiegen. Das könnte sich wiederholen.
2019, als die Gewinne amerikanischer Large Caps nicht stiegen, war das Kurs-Gewinn-Verhältnis des Index interessanterweise ähnlich wie heute. Die Gewinne bewegten sich seitwärts, aber die Fed beendete die Zinserhöhungen Ende 2018, um die Federal Funds Rate in der zweiten Jahreshälfte 2019 erstmals zu senken. Der Markt legte in jenem Jahr um 29% zu. Selbst bei einer schwachen Konjunktur und niedrigem Gewinnwachstum können Aktien kräftig steigen, wenn sich das Zinsumfeld ändert.
Nach vorn sehen
Die Märkte blicken in die Zukunft, die Marktbeobachter aber nicht immer. Mit großem Aufwand versuchen sie aus der oft sehr komplexen Weltwirtschaft faire Aktienkurse und Langfristrenditen abzuleiten. Am Anleihenmarkt weiß man schon länger, dass die Zinserhöhungen irgendwann auslaufen und die Leitzinsen nicht ewig so hoch bleiben. Aber die Aktienkurse sind gefallen, weil die Anleihenrenditen gestiegen sind. Erinnern Sie sich noch daran, wie niedrig sie 2020 waren? Doch die Verlustphase ist vorbei, und es könnte, zumindest ansatzweise, zu einer Trendwende kommen. US-Aktien mögen noch immer teuer erscheinen, aber zurzeit liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis nur im 22. Perzentil der KGV seit 2015. Betrachtet man die Bewertungen seit 1993, liegt es sogar genau in der Mitte.
Risiken eingehen?
Aktien waren schon immer volatil. Im Schnitt hat der S&P 500 (Kursindex) seit 1993 um 9% p.a. zugelegt. In zwei Dritteln dieser Zeit lagen die Erträge zwischen ‑7% und +25%, im restlichen Drittel waren sie höher oder niedriger. Prognosen sind also schwierig. Ich glaube, dass das Inflations- und Zinsmaximum in Verbindung mit dem bisherigen Bewertungsrückgang und dem optimistischeren Weltwirtschaftsausblick reicht, um höhere Erträge erwarten zu können. Konsens ist, dass Aktien außerhalb der USA günstiger bewertet sind, und das scheint mir auch plausibel. Aber sind vielleicht auch die Verlustrisiken in den USA höher? Ich glaube nicht. Der US-Aktienmarkt wurde zu Unrecht totgesagt, wie uns der Januar-Gesamtertrag von 6% erneut gezeigt hat. Und wenn US-Aktien zulegen, ist das meist auch für andere Aktienmärkte gut.
Bessere Fundamentaldaten?
In den nächsten Jahren dürften das reale Wirtschaftswachstum steigen und die Inflation fallen. Die bisherigen und die noch geplanten Zinserhöhungen könnten das Wachstum noch einige Quartale lang dämpfen. Die größte Überraschung könnte aber die hohe Widerstandsfähigkeit der Weltwirtschaft sein. Die amerikanischen Maßnahmen zur Belebung der Industrieinvestitionen gelten gemeinhin als langfristig wachstumsfördernd. Die USA, China und die Europäische Union wollen bei grünen (und anderen) Technologien sowie erneuerbaren Energien die Nase vorn haben. Ein Teil der staatlichen Maßnahmen könnte bewirken, dass die Inflation weiterhin höher sein wird als in den letzten 20 Jahren. Es ergeben sich aber auch Wachstumschancen, und vielleicht steigt auch die Produktivität, was gut für den Arbeitsmarkt und die Haushaltseinkommen wäre. ChatGPT überzeugt mich noch nicht wirklich, aber das Programm ist ein weiteres Beispiel dafür, dass neue Technologien – in diesem Fall Künstliche Intelligenz – trotz Arbeitskräftemangel die Wertschöpfung steigern können. Natürlich stellen auch grüne, saubere und digitale Technologien Aktienerträge von 10% in Aussicht.
Platz für Trophäen
Erik ten Hag ist mit Manchester United erstmals in ein Pokalfinale eingezogen. Am 26. Februar steigt das Finale gegen den von Saudi-Arabien finanzierten Club Newcastle United. Der nach dem derzeitigen Sponsor in Carabao Cup umbenannte englische Ligapokal ist sicher der am wenigsten glamouröse englische Fußballwettbewerb. Manchester United ist aber weiterhin im FA Cup, der Premier League und der Europa League erfolgreich. Wer hätte das nach den Niederlagen gegen Brighton und Brentford in den beiden ersten Spielen der Saison gedacht? Auch im Fußball geht es auf und ab.
Rechtliche Hinweise