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2% aus zwei Richtungen


Am 2%-Ziel der Notenbanken wird sich in den nächsten Jahren wohl nichts ändern. Anders als in den zehn Jahren nach der internationalen Finanzkrise müssen sie jetzt aber wohl keine zu niedrige Inflation mehr verhindern, sondern eine zu hohe. Vielleicht erfordert das künftig einen höheren Gleichgewichtszins. Vor allem aber dürften sich die Zinssenkungen erst einmal in Grenzen halten. Wahrscheinlich wird auch nicht viel Kapital vom Geldmarkt in Unternehmensanleihen und Aktien umgeschichtet, vor allem wegen der niedrigeren Risikoprämien der beiden Assetklassen. Solange die Notenbanken keine Rezession ansteuern, um ihre Inflationsziele einzuhalten, bleiben High Yield und Aktien attraktiv.


Was waren sie doch gut

Wenn die Notenbanken beim Thema Preisstabilität zur Hybris neigen, hat das mit der Zeit nach der internationalen Finanzkrise zu tun. Von 2010 bis 2020 haben Federal Reserve, Europäische Zentralbank und Bank of England die Inflation im Schnitt unter 2% gehalten. Nachdem die Fed im Januar 2012 ein offizielles Langfristziel von 2% eingeführt hatte (gemessen am PCE-Deflator), lag die PCE-Kerninflation bis zum Beginn der Pandemie im März 2020 in 91 von 99 Monaten unter 2%.

2%, mit links

Großbritannien hat schon 1992 mit der Inflationssteuerung begonnen, kurz nach dem Abschied des Pfunds aus dem europäischen Wechselkursmechanismus. Als Labour nach dem Wahlsieg im Mai 1997 der Bank of England volle Unabhängigkeit gewährte, wurde sie zum wichtigsten Element der britischen Geldpolitik. Wie in den USA lag die Inflation in den zehn Jahren nach der internationalen Finanzkrise meist unter dem Zielwert. In drei der fünf Zweijahreszeiträume von Mai 2011 bis Mai 2021 lag die Verbraucherpreisinflation unter 2%, und nur von Mai 2017 bis Mai 2019 war sie geringfügig höher.

Und jetzt? 

Der Inflationsanstieg 2021/2022 war ein Schock. Er traf die Märkte hart, und die Notenbanken reagierten massiv. Zweifel an der Inflationssteuerung kamen auf. Erst war von einem (vorübergehenden) coronabedingten Angebotsschock die Rede, aber dann fürchtete man Zweitrundeneffekte und eine dauerhaft höhere Teuerung. Heute macht die hartnäckige Dienstleistungspreisinflation ebenso Sorgen wie der zu hohe Lohnanstieg. Hinzu kommen Hinweise auf extrem hohe Preise für bestimmte Güter und eine punktuell deutlich stärkere Nachfrage – kräftig steigende Immobilienpreise im Mittelmeerraum, knappe Flugtickets und Hotelzimmer und Preise von bis zu 100 Dollar für einen Hamburger in angesagten New Yorker Restaurants. Über eines wird aber nicht offen gesprochen, und schon gar nicht von den Notenbanken: Vielleicht ist eine Rückkehr zu knapp 2% Inflation nur um den Preis einer schweren Rezession möglich.

Neue Preisdynamik

Trotz der wieder niedrigeren Inflation legten einige viel beachtete Preisindikatoren im Vormonatsvergleich zuletzt sehr viel stärker zu als im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2020. Nach der Finanzkrise 2008/2009 sorgten Globali­sierung und Sparmaßnahmen der Unternehmen für eine niedrigere Teuerung, und auch neue Technologien machten viele Konsumgüter und Dienstleistungen billiger. Um die guten Zeiten zurückzubringen, braucht es vermutlich eine sehr günstige Kombination aus niedrigeren Rohstoffpreisen, mehr Billigimporten, disruptiven Geschäftsmodellen und neuen Vertriebsstrategien für Massenartikel. Erinnern Sie sich noch an die Preiskriege zwischen den Supermarktketten? Vielleicht muss auch die Arbeitslosigkeit steigen. Doch jetzt erleben wir das Gegenteil, ausgelöst durch Rohstoffkrisen, Protektionismus und die Bemühungen der Unternehmen, ihre Margen zu sichern. Bei einer anhaltend hohen Nachfrage gilt das erst recht. Vermutlich würden die Anbieter ihre Preise nur bei einem drastischen Nachfrageeinbruch senken, und wahrscheinlich gibt die Inflation nur dann generell nach.


Höhere Gleichgewichtszinsen

2022/2023 muss sich nicht wiederholen. Anleger sollten sich aber darauf einstellen, dass sich die Ziele der Geldpolitik jetzt ändern. Jetzt gilt es, eine Inflation von langfristig mehr als 2% zu verhindern – und nicht mehr einen dauerhaften Rückgang unter diesen Wert. So ist es eben. Aus gutem Grund ist man sich unsicher, wann die Zinsen erstmals gesenkt werden, vor allem in den USA.

Das kann große Folgen für den mittelfristigen Zinsausblick haben. Von 2010 bis 2020 waren die realen Leitzinsen negativ, weil die Notenbanken gegen eine Deflation ankämpften, ausgelöst durch eine zu geringe Kreditaufnahme. Aber das ist jetzt vorbei. Gehen wir also davon aus, dass die Inflation in Zukunft eher über 2% liegen wird. Um das 2%-Ziel dennoch einzuhalten, müssen die realen Leitzinsen positiv bleiben. Für die USA und Großbritannien würde dies einen nominalen Leitzins von 3% bis 4% und für den Euroraum einen von 2% bis 3% erfordern, wenn nicht mehr. Wie sehr er darüber liegen muss, hängt von der Bereitschaft ab, für einen drastischen Inflationsrückgang auch eine Rezession in Kauf zu nehmen, mit mehr Überkapazitäten und Arbeitslosen. Eine Teuerung leicht über dem Zielwert ist sicher sozialverträglicher als das Gegenteil.

Treue zum Geldmarkt

Wenn Anleger heute in Tagesgeld oder Kurzläufer investieren, verdienen sie hohe Zinsen. Es fällt daher schwer, sich vom Geldmarkt zu verabschieden. Noch vor etwa einem Jahr schloss man massive Umschichtungen aus Geldmarktanlagen und Bankeinlagen in Anleihen- und Aktienfonds nicht aus, da die Noten­banken starke Zinssenkungen andeuteten. Jetzt ist das sehr viel unwahrscheinlicher. Sowohl die Zinssenkungserwartungen als auch die Risikoprämien von Unternehmensanleihen und Aktien haben stark nachgelassen.

Der Zinsausblick dürfte jetzt wieder eher so sein wie vor 2008, und nicht wie beim Quantitative Easing. Um attraktiv zu sein, müssen risikoreichere Titel daher höhere Erträge in Aussicht stellen. Außerdem werden die Langfristrenditen wohl nicht mehr stark fallen. Die größte absehbare Veränderung am Anleihenmarkt ist aber wohl eine Normalisierung der Zinsstrukturkurve durch fallende Kurzfristzinsen. Aber das kann dauern. Meiner Meinung nach sollte man bei Anleihen weiter auf Kurzläufer setzen.

Dieser Ausblick spricht generell für Anleihen, die heute attraktiver scheinen als vor 2022. Ihre Renditen liegen jetzt über der Inflation. Es fällt heute leichter, künftige Zahlungsverpflichtungen mit den laufenden Anleihenerträgen zu decken. Unterschätzen Sie auch nicht den Zinseszinseffekt: Selbst wenn in den nächsten Monaten nicht mit wirklich vielen Zinssenkungen zu rechnen ist, sollte man auf Anleihen nicht verzichten. Im Grunde ist das Risiko-Ertrags-Profil sogar besser, wenn sich die Zinsen nur wenig ändern, und die Renditevolatilität hat in den letzten Monaten nachgelassen. Und dann gibt es da noch sehr viele Anleihen, die unter pari gehandelt werden, aber (ohne Zahlungsausfälle) zu pari zurückgezahlt werden. 82% der Titel des ICE Euro Corporate Bond Index notieren zurzeit unter 100, 53% unter 95 und 29% unter 90. Der Carry und der Kursanstieg bei nahender Endfälligkeit sind sehr viel wichtiger als der genaue Zeitpunkt von Zinssenkungen.

Alt und zynisch

Mit zunehmendem Alter wird man zynischer. Immer mehr glaube ich, dass es Unsinn ist, auf Prognosen (in gewissem Umfang) zu verzichten. Ebenso unsinnig ist aber der Versuch, (fast) alles zu prognostizieren. Aussagen zur Zukunft sind immer Wahrscheinlichkeitsaussagen, aber niemand kennt die Wahrscheinlichkeiten. Daher sollte man sich fragen, womit man als Anleger am besten leben kann. Für die meisten sind das Geldmarktanlagen. Für mich als Finanzexperten könnten es auch andere Anlagen sein, denen ich Erträge über dem Geldmarkt zutraue. Interessant könnten etwa Technologieaktien sein. Sehen Sie sich nur einmal an, wie viel Geld Unternehmen für KI ausgeben und was das für Firmen bedeutet, die Datenzentren, Kabel, Kühlsysteme und (erneuerbare) Energie liefern. Interessant scheinen mir auch High Yield zu sein, da die Refinanzierungsrisiken höher verschuldeter konjunktursensitiver Unternehmen heute ausgewogener sind. 8% Rendite für amerikanische High-Yield-Anleihen sind attraktiv, wenn die meisten Investmentgrade-Titel kaum mehr als der Geldmarkt bieten. Auch deshalb bevorzuge ich Kurzläufer, deren Risiko-Ertrags-Profil bei der absehbaren Zinsentwicklung attraktiv ist.

In den Zeiten des Quantitative Easing zahlten Investoren für Investmentgrade-Anleihen und Geldmarktanlagen eine Prämie für die höhere Sicherheit dieser Titel in einer sehr unsicheren Welt, zumal die Notenbanken als Käufer bereitstanden. Man hatte die Wahl: niedrige Erträge für Aktiva, die von den Notenbanken gestützt werden, oder die Aussicht auf hohe Erträge für Titel, die bei einer Deflationsspirale unter Druck geraten könnten. Wie anders ist es doch heute: Der Geldmarkt bietet wieder laufenden Ertrag, und wer ein Vermögen aufbauen will, hat keinerlei Grund oder Anreiz, Durationsrisiken einzugehen. Dagegen haben sich die Risiken von Unternehmensanleihen und Aktien gelohnt, und nach dem derzeitigen Konjunkturausblick dürfte das so bleiben. Vielleicht kommt aber auch das böse Erwachen, wenn sich das 2%-Ziel der Industrieländer-Notenbanken als unrealistisch erweist.

Trophäen

Gedanken mache ich mir auch über andere Sachen. Ein wichtiges Thema sind die britischen Unterhauswahlen. Sie könnten britischen Aktien helfen; mehr darüber in den nächsten Wochen. Und dann kann ich mir zum Ende der Fuß­ballsaison auch eine Bemerkung zum großen Sieg von Manchester United im Pokal­finale gegen den alten Rivalen Manchester City nicht verkneifen – eine Spitzenleistung! Schon vor einigen Wochen schrieb ich, dass die Zukunft von United die Jugend ist – und das haben die Torschützen im Pokalfinale dann auch bestätigt. Ich bin sicher, dass ich mich im August noch genauso für United begeistern werde wie heute. Auf eine erfolgreiche Saison!

Performancedaten/Quellen: Refinitiv Datastream, Bloomberg, Stand 30. Mai 2024, falls nicht anders angegeben. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist kein Hinweis auf künftige Erträge.

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